Der Kriminalroman -”erfunden” im Jahr 1841?
Immer wieder wird gern zitiert: “Verbrechen sind so alt wie die Menschheit”. Auch wenn es für diese Behauptung – im kriminalistischen Sinn – keine Beweise gibt, dürfte diese Annahme natürlich
zutreffen. Auch spannende Geschichten, die sich rund um Mord, Totschlag, Betrug und Raub ranken, wurden sicher schon vor Jahrtausenden von den Ältesten am Lagerfeuer erzählt. Die klassischen griechischen Tragödien
nahmen sich ebenfalls regelmäßig dem Thema Verbrechen an und auch die Bibel steckt voller Berichte über Greueltaten jeglicher Art. Die Geschichten rund um die Kriminalität, meist um Kapitalverbrechen wie Mord,
Vergewaltigung und Totschlag, haben daher schon früh Einfluss auf die Literatur gehabt. Von einer tatsächlichen Kriminalliteratur als eigenständiger Gattung kann man jedoch erst seit dem Ende des
18. Jahrhunderts sprechen. Zum einen ermöglichte seinerzeit der technische Fortschritt in der Buchproduktion die massenhafte Verbreitung von Taschenbüchern. Zum anderen entwickelte sich erstmals ein
bürgerliches Lesepublikum, das vermehrt auch nach Unterhaltungsliteratur verlangte. Beispiele hierfür sind Der Verbrecher aus verlorener Ehre von Friedrich Schiller, Michael Kohlhaas von
Heinrich von Kleist, Die Judenbuche von Annette Droste Hülshoff und Das Fräulein von Scuderi vonE.T.A. Hoffmann.
Als einer der wichtigsten Begründer der modernen Detektivgeschichte gilt, relativ unbestritten, der Amerikaner Edgar Allan Poe
(1809 – 1849). Im Jahr 1841 veröffentlichte er in einem Magazin die Erzählung Der Doppelmord in der Rue Morgue, in der erstmals ein Detektiv (C. Auguste Dupin) und seine streng deduktiven Methoden bei der
Aufklärung eines Verbrechens unmittelbar in den Mittelpunkt der Handlung gestellt wurden. Er klärte seine Fälle allein mit Methoden der Logik und des Rationalismus. In England war später Wilkie Collins
mit Kriminalromanen wie Die Frau in Weiß (1860) und Der Monddiamant (1868) erfolgreich, in Frankreich Emile Gaboriau mit Die Affäre Lerouge.
Wie Dupin, so arbeitete auch Sherlock Holmes, die von Sir Arthur Conan Doyle
1887 ins Leben gerufene legendäre Detektivfigur, streng nach den Regeln der Analyse und Kombination. Holmes war der kühle Analytiker, der durch reine Gedankenarbeit die logischen Zusammenhänge einer Tat erforschte, sein Freund Dr. Watson stellte als Gegenpart den eher etwas zerstreuten und manchmal auch schusseligen (Kriminologie-) Professor dar. Dieses Prinzip von zwei charakterlich eher gegensätzlichen Protagonisten ist regelmäßig auch noch in heutigen Romanen (oder auch Fernseh-Krimis) zu finden.
Zu den bekanntesten Werken Doyles (1859-1930), gehören Studie in Scharlachrot, Das Zeichen der Vier, Die Abenteuer des Sherlock Holmes und Der Hund von Baskerville. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ersann der Londoner
Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) einen weiteren Amateurdetektiven, der anstelle der Polizei Morde klärte: der gewitzte Geistliche Pater Brown.
Staatliche Ermittler in Zivil, also “echte” Kriminalbeamte in Zivil, gab es ja zu der Zeit, als die ersten Krimis geschrieben wurden, so gut wie gar nicht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass im
Mittelpunkt dieser Werke in der Regel Hobby-Detektive wie Ärzte, Geistliche oder andere Privatpersonen standen. (Mehr zur Entstehung der Kripo finden sie hier.)Eine Sonderstellung nahm der ebenfalls in London geborene
Edgar (Richard Horatio) Wallace (1875-1932) ein. Er veröffentliche 173 Romane, zumeist recht einfache Kriminalgeschichten, eine Art Kriminalmärchen für Erwachsene. Er verwendete keinen männlichen oder
weiblichen Serienhelden sondern stellte häufig irgendwelche “Ober-Bösen” in den Mittelpunkt der Handlung (Zum Beispiel Der Hexer (1925) und Der Zinker (1926). Er war aber sicher einer der Wegbereiter für spätere Action- oder Spionagethriller.
Das Anfang des 20. Jahrhunderts beginnende “Goldene Zeitalter” der Detektivgeschichten wurde zweifellos angeführt von Agatha (Mary Clarissa) Christie, geborene Miller (1891-1976). Auch die
von ihr geschaffenen Protagonisten, der etwas blasierte Hercule Poirot und die schrullige Miss Marple, sind klassische Privatermittler im Sinne Dupins oder Holmes‘, die ihre Fälle in mehreren Schritten klären
(Analyse des Tatortes, der Mordwaffe und anderer Spuren, logische Schlussfolgerungen, Verfolgung und Befragung Verdächtiger). Der Leser wurde in diesen Krimis meist bis zum Schluss über die Lösung im Unklaren
gelassen und häufig, genau wie der Detektiv oder die Detektivin, bewusst auf falsche Fährten gelockt. Für diese klassische Form des Detektivromans wurde im englischen Sprachraum der bis heute gültige Ausdruck
“Whodunit”-Geschichte geprägt (von: “Who has done it?” = “Wer war’s?”). Beispiele aus ihrem umfangreichen Schaffen: Das geheimnisvolle Verbrechen in Styles (1920), Tod auf dem Nil (1937) und Verabredung mit dem Tod (1938). Erwähnt werden sollte noch folgender Rekord: ihr Bühnenstück Die
Mausefalle (1952) steht seit nunmehr fünfzig Jahren ohne Unterbrechung in London auf dem Spielplan – und ist praktisch ständig ausverkauft. Eine weitere bekannte Repräsentantin dieses Genres war
Dorothy L. (Leigh) Sayers (1893-1957). Sie schrieb unter anderem Der Tote in der Badewanne (1923). und Mord braucht Reklame (1933). Ihr eleganter Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey klärte in insgesamt zehn Romanen Morde in Kreisen der britischen Oberschicht.
Die britischen Autoren und Autorinnen mit ihren Geschichten über mehr oder weniger kauzige Privatdetektive waren lange Zeit prägend für das Genre.
Der Belgier Georges (Joseph Christian) Simenon (1903-1989) schuf im Jahr 1930 für die Erzählung Nachtzug in französischer Sprache einen der ersten staatlichen Ermittler von Bedeutung, den Kommissar Jules Maigret. In den folgenden Jahrzehnten schrieb Simenon im Schnitt sechs Romane pro Jahr, insgesamt über 220 unter seinem eigenen Namen und weitere 80 unter mehr als 20 Pseudonymen. Über die Fälle des Kommissars Maigret, dem Pfeife rauchenden Polizisten mit dem psychologischen Einfühlungsvermögen, der den Täter meist im sozialen Umfeld des Opfers suchte, verfasste er 80 Bücher, z.B. Maigret und Pietr, der Lette.
Im deutschen Sprachraum gab es Anfang des Jahrhunderts wenige Autoren, die das Krimi-Genre nachhaltig geprägt haben. Zu nennen wäre da aber der Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938) mit seinen
von den frühen Werken Maigrets beeinflussten Romanen und Kurzgeschichten. Sein Protagonist “Wachtmeister Studer” trat zum ersten Mal 1936 in dem gleichnamigen Roman auf. (Das Werk wurde zunächst als Vorabdruck in
der Zürcher Illustrierten unter dem Titel Schlupf Erwin, Mord veröffentlicht.) In diesem und den vier folgenden Büchern löste Studer seine Fälle überwiegend mit Intuition und gesundem Menschenverstand. Dem
eher schweigsam-mürrischen Studer, der bisweilen sogar ängstlich und hilflos wirkt, kommt bisweilen auch der Zufall bei der Lösung eines Falles zur Hilfe. Die von Glauser ersonnene Gestalt des Studer dürfte
wiederum Einfluss auf Dürrenmatts Figur Kommissar Bärlach gehabt haben. Glauser hat in seinen Werken immer wieder eigene Erfahrungen und Probleme verarbeitet; er hatte ein bewegtes Leben hinter sich, bevor er durch
seine Romane bekannt wurde (u.a. Erziehungsanstalt, Morphiumsucht, Einweisung in Irrenanstalt, Fremdenlegion, Zuchthausaufenthalt). Die weiteren Studer-Krimis: Matto regiert (1936), Die Fieberkurve (1938), Der Chinese (1939) und Krock & Co (1941).
In den dreißiger Jahren wurde auch der Einfluss nordamerikanischer Autoren stärker. Eine populäre Detektivgestalt war unter anderem der von Rex Stout
(1886 – 1975) geschaffene Detektiv Nero Wolfe. Der in New York angesiedelte Feinschmecker Wolfe brachte zwar etwas mehr Realität in den Krimi, stand mit seinem Assistenten Archie Goodwin aber noch deutlich in der Tradition von Holmes und Watson.
Schließlich entwickelte sich in Amerika, nach dem überwiegend britischen “Golden Age” des Krimis, die “Schwarze Serie”.
Der auf einer Farm in Maryland geborene und in Baltimore aufgewachsene (Samuel) Dashiell Hammett
(1894-1961) arbeitete neben einigen anderen Tätigkeiten ab 1915 auch mehrere Jahre als Privatdetektiv bei der legendären Agentur “Pinkerton’s”. Diese Erfahrung lieferte ihm die Grundlagefür seine Detektivromane rund um den “Privatschnüffler” Sam Spade. Diese Figur wurde zu einem der Prototypen des harten, illusionslosen und “mit allen Wassern gewaschenen” Ermittlers. Bezeichnend für Hammett ist die realitätsnahe Darstellung der menschlichen Psyche und sozialer Konventionen in einer profitorientierten Gesellschaft in einer bis dahin nicht gekannten Offenheit. Das Buch Der Malteser Falke (1930)
ist bis heute einer der Klassiker des Detektivromans. Hammett schildert hier ganz konsequent aus einer Außenperspektive – der Leser ist als neutraler Zeuge immer nur dort anwesend, wo sich der Sam Spade aufhält. Die
Gedanken der Handelnden, auch des Detektivs, werden nicht bekannt, viele kleine Rätsel bleiben bis zum Schluss ungeklärt. Weitere Werke: Der Gläserne Schlüssel (1931), Der dünne Mann (1934).
Der in Chicago geborene Raymond (Thornton) Chandler
(1888-1959), schuf die legendäre Figur des Privatdetektivs Philip Marlowe. Auch dieser “coole” Ermittler ist desillusioniert, ja sogar überwiegend pessimistisch und bringt, ähnlich wie Hammett, deutlich mehr Realität in den Kriminalroman. Der eigentliche Kriminalfall tritt oft zugunsten psychologischer und gesellschaftskritischer Beobachtungen in den Hintergrund. Marlowe sucht nicht unbedingt nach juristischer Gerechtigkeit, da er oft erfahren hat, dass diese längst nicht immer siegt. Chandler schrieb unter anderem Der tiefe Schlaf (The Big Sleep, 1939) und Das hohe Fenster (1942).
Wer sich ernsthaft mit dem Krimi der “Schwarzen Serie” beschäftigen will, kommt an einem der Bücher von Chandler nicht vorbei.
Der renommierte Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt
(1921-1990) verfasste in der Nachkriegszeit einige Kriminalromane, nach seinen Angaben aber selbstverständlich nur widerwillig, “um Geld zu verdienen”. Der Richter und sein Henker (1952) handelt von einer Wette zwischen Kommissar Bärlach und dem Verbrecher zu dem Thema “Gibt es das perfekte Verbrechen?” und stellt die klare Trennung von Gut und Böse in Frage. Spätere Romane: Der
Verdacht (1953), Das Versprechen (1958).
In den sechziger Jahren schuf das schwedische Ehepaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö in ihren gesellschafts- und sozialkritischen Krimis den Kommissar Martin Beck. Erschienen sind u.a.: Die Tote im Götakanal (1965) Der
Mann, der sich in Luft auflöste (1966) sowie Und die Großen lässt man laufen (1970).
Aktuelle Entwicklungen Krimis erscheinen jährlich nach wie vor in beachtlicher Zahl, doch die Zeit der großen Ermittler (abgesehen von Kommissar Wallander / Henning Mankell
und einigen anderen) scheint eher der Vergangenheit anzugehören. Es haben sich viele Spezial-Genres entwickelt, von denen hier nur noch einige Beispiele aufgelistet werden sollen:
Justiz-Krimis Die Handlungen spielen überwiegend im Gerichtssaal und setzen zeitlich somit dort an, wo die Mehrzahl der üblichen Krimis aufhört: mit dem “Kampf” zwischen dem Ankläger
(Staatsanwalt) und dem Verteidiger (Rechtsanwalt), um die Schuld / Unschuld eines Täters tatsächlich zu beweisen. Zu den erfolgreichsten Autoren gehören oft (ehemalige) Rechtsanwälte, wie der Amerikaner
John Grisham (*1955), mit seinen Werken wie Die Jury oder Die Akte oder sein Landsmann Richard North Patterson(Das Maß der Schuld).
Polizeiromane Auch “Cop-Krimis”, geschrieben von aktiven oder ehemaligen Kriminalbeamten, sind immer wieder durchaus erfolgreich. Unbestrittener Meister dieses Metiers ist sicher
Joseph Wambaugh (*1937 in East Pittsburgh), der 14 Jahre lang Polizeibeamter des Los Angeles Police Departements war und mittlerweile 15 Romane verfasst hat. Einige Titel: Tod im Zwiebelfeld, Die Chorknaben, Nur ein Tropfen Blut.
Hier ist auch der auf dieser Homepage vorgestellte Marcus Winter einzuordnen, der Kriminalbeamter in einer nordrheinwestfälischen Großstadt ist. Der aktuell erfolgreichste deutschsprachige Krimiautor, der im
Hauptberuf Polizeibeamter ist, dürfte seit einigen Jahren Norbert Horst sein. (Externer Link).
Historische Krimis Einige Autoren lassen ihre Protagonisten auch Morde in vergangenen Epochen klären. Da es vor hunderten oder gar tausenden von Jahren keine Kriminalpolizei und kaum
wissenschaftliche Methoden der Beweisführung gab, ergeben sich natürlich reizvolle Möglichkeiten, fernab von Fingerabdrucksuche und DNA-Analyse spannende Handlungen zu ersinnen. Prominenter Vertreter dieses Genres
ist Umberto Eco mit seinem Mittelalter-Krimi Der Name der Rose; im deutschsprachigen Raum ist an erster Stelle Gisbert Haefs (* 1950 in Wachtendonk) zu nennen, der zum Beispiel in Hamilkars Garten über einen Mordfall im alten Karthago schreibt.
“Frauenkrimis” Die Diskussion, ob es wirklich reine “Krimis von Frauen – für Frauen” gibt, soll hier nicht vertieft werden. Weibliche Krimiautorinnen waren schon von Beginn an sehr erfolgreich, und die Geschichten über die Fälle des Hercule Poirot haben vermutlich genau so viele Männer wie Frauen gelesen. Agatha Christie soll gesagt haben, sie sei in erster Linie Frau und erst in zweiter Schriftstellerin. Das Geschlecht des Verfassers / der Verfasserin allein sagt aber wohl wenig über die Qualität eines Romans aus. Es gibt sicher sehr viele gute Autorinnen und viele eher mittelmäßige Autoren - und umgekehrt. Nachdem Miss Marple jahrzehntelang allein auf weiter Flur war, stehen heute immer häufiger weibliche Protagonisten im Mittelpunkt der Kriminalfälle. Wie zum Beispiel in Amerika (z.B.
Sara Paretsky * 1947 in Kansas), findet man heute auch im deutschsprachigen Raum regelmäßig Autorinnen an der Spitze der Bestseller-Listen. Zu nennen sind hier unbedingt Ingrid Noll, (Der Hahn ist tot, Die Apothekerin) und
Charlotte Link (Am Ende des Schweigens), die mit ihren Auflagen die meisten männlichen Kollegen regelmäßig in den Schatten stellen. Viele renommierte Krimischreiberinnen haben sich als “Sisters-in-Crime” zusammengetan und stellen sich auf ihrer eigenen Homepage vor (Externer Link).
Es existieren natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Krimi-Genres, die ihre Handlungsstränge aus ganz spezieller Sicht aufbauen, so zum Beispiel aus der Warte der Gerichtsmedizin (Trübe Wasser sind kalt, Die
Tote ohne Namen, Patricia Cornwell). Es gibt sogar, begründet von Reiner M. Sowa, den Bestatter-Krimi, mit einem Beerdigungsunternehmer als Protagonisten (Ein Bestatter gräbt nach). Und
da sind natürlich noch die Lesben-Krmis, Schwulen-Krimis, Regional-Krimis, Kinder-Krimis, Öko-Krimis, sogar Schaf-Krimis, und, und, und ... Ein Ende ist (zum Glück) nicht abzusehen.
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